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29.7.-5.8.2023 - Auf wilden Trails durch die okzitanischen Täler des Piemonts

Die Bikewoche im Piemont mit Lukas Stöckli war genial, da kann ich nur seinen Rückblick zitieren:
"Seit 20 Jahren bin ich mit dem Mountain-Bike in den wilden Westalpen unterwegs. In dieser Urtümlichkeit, Wildheit und Einsamkeit fühle ich mich wie im Bikehimmel. Hier kommen alle Facetten zusammen, welche für mich das Mountain-Biken ausmacht. Hier ist meine «zweite Heimat» – hier schlägt mein Biker-Herz höher. Auf zehntausenden (Trail)-Kilometern überquerte ich in all den Jahren unzählige Pässe und fuhr durch die vergessenen Täler dieser einzigartigen Alpenregion. Inspiriert vom GTA-Weitwanderweg, reifte in diesen Jahren die Idee einer «GTA für Biker». Die «Alta via Piemonte»! Schnell war klar, dass dies der härteste Alpencross wird, den ich je in meinem Tourenprogramm hatte. Eine Tour welche zehn okzitanische Täler miteinander verbindet und wo in sechs Tagen gerade mal zwei Dörfer und fünf Weiler passiert werden. Auf steilsten Uphills geht es über höchste Pässe und auf anspruchsvollsten Trails in die gottverlassenen Talschlüsse der längsten Westalpen-Täler. Möglichst nah dem Alpenhauptkamm folgend erlebten wir Natur- und Gebirgsszenerien, die uns für immer prägen!

Die Talschlüsse dieser Okzitanischen Täler sind bis heute von der anhaltenden Abwanderung geprägt. Eine Kulturlandschaft, die mehr und mehr aufgegeben wird. Wir haben noch die Möglichkeit diese zu erleben und tauchen dabei nicht selten ab in eine längst vergangene Zeit. Die Berge und Talschaften sind bis heute einzigartig und ursprünglich geblieben.

Asphalt gibt es am ersten Tag keinen einzigen Meter und nach drei Minuten sind wir auch bereits auf dem ersten Trail unterwegs. Auf alten Militärwegen und über unzählige Pässe tauchen wir mitten hinein in atemberaubende Talschaften. Wir fahren ins Tal der Resistenza, welche dort im zweiten Weltkrieg einen idealen Rückzugsort hatte. Hier konnten sie sich verstecken und im Notfall schnell über verschiedene Pässe in andere Täler oder gar nach Frankreich fliehen. So zart wie die Abfahrt beginnt so knackig wird sie bereits nach wenigen Metern – ein Appetizer auf alles was uns die kommenden Tage verwöhnen und fordern wird.

Gleich zwei Mal fahren wir am zweiten Tourentag über den Alpenhauptkamm und somit über die Wasserscheide zwischen Ligurischem Meer und Adria. Satte sechs Stunden Singletrail an einem Stück. Das Wegtrassee stammt aus dem 16. Jahrhundert und zeugt, wie wichtig dieser Pass beim Saumverkehr war. An vielen Orten ist der historische Weg noch gut erkennbar. Damals gab es im Alpenbogen rund 300 alpenquerende Übergänge, welche für den Handel genutzt wurden. Solche Wege und ihre Geschichte faszinieren mich. Trailbiken auf historischen Pfaden ist etwas ganz Besonderes was mich immer wieder tief in den Bann zieht.

Um den nächsten Übergang zu erreichen, fahren wir einen zwölf Kilometer lange Trail-Uphill empor der uns in völlige Abgeschiedenheit führt. Uns Biker verwöhnt er mit tibetanischen Dimensionen wie man sie in den Alpen nur selten erlebt. Dieser abgelegene Pass war für den Saumverkehr wenig interessant, er ist schlicht zu abgelegen. Benutzt wurde er in früheren Jahrhunderten von der Bevölkerung welche von Armut und Hunger nach Frankreich getrieben wurde

In den ersten drei Tagen ist das Gelände weicher und geschwungener. Die topografischen Unterschiede zwischen der West- und Ostseite des Alpenhauptkamms ist hier besonders beeindruckend. Während die Alpen auf der französischen Seite auf einer Distanz von 150 bis 200 km langsam zum Rhonetal hin abfallen, sind es auf der italienischen Seite keine 40 km bis zur Poebene runter. Erst noch sind wir aus den tiefen Tälern des Piemonts emporgefahren, erwarten uns ab der Wasserscheide weite Hochplateaus und weich geschwungene Übergänge. Wir befinden uns im höchstgelegenen Kulturraum der Alpen. Eine Talschaft welche über Jahrhunderte nur über eine Vielzahl hoher Pässe erreichbar war. Der niedrigste ist 2300 m hoch, der höchste 2900 m. Wir geniessen einen «Ruhetag», bevor es ab morgen wieder zurück ins Piemont geht und deutlich steiler und anspruchsvoller wird…

Es ist ein langer Tag und entsprechend früh sind wir auf unseren Bikes. Wir erleben eine Morgenstimmung die uns zusätzlich Energie gibt. Auf einer uralten Salzhandelsroute und durch den ältesten Tunnel der Alpen (75 m lang und 1479 erbaut) geht es dem 3841 Meter hohen Monviso entgegen. Abgesehen vom letzten Tag sehen wir ihn jeden Tag aus unterschiedlen Perspektiven und Distanzen. Er ist für mich das Sinnbild der Westalpen. Ein Berg, der meine Camps und Crosse in den Westalpen fast immer in irgendeiner Form prägt.

Heute sind wir den ganzen Tag im Banne des «re di pietra» (König aus Stein) unterwegs. Auf fünf Kilometer Luftlinie kommen wir an seinen Gipfel ran. Vor vier Jahren stand ich oben auf dem Gipfel – ohne Bike… Seine Dominanz gewährt eine Aussicht, die wohl zu den beeindruckendsten in den Alpen zählt. Im Angesicht dieses Berges können wir nur Dank den historischen Salzhandelsrouten, den Schmugglerrouten und den alten Militärsteigen mit unseren Bikes in diese wilde Hochgebirgswelt vordringen.

In den Tälern der Valdenser wird es noch wilder denn die Reliefunterschiede werden immer grösser. Die Geologie erinnert schon eher an die Seealpen. Das Gestein ist hart und der Aufwand für die Kriegsbaumeister war immens. Kaum zu glauben in welch wilde und einsame Bergwelten hier solche Militärwege gebaut wurden. Wenig abseits dieser Wege befinden sich noch Kanonen mit Baujahr 1916. Es sind die einzigen Geschütze, die ich bis anhin in den Westalpen gesehen habe – unbrauchbar gemacht und zurückgelassen als Mahnmal.

Je nach geopolitischer Ausrichtung des Piemonts wurden die Valdenser (Protestanten im katholischen Italien) in diesen Tälern verfolgt oder als tapfere Krieger und Gebietskenner gegen die Franzosen eingesetzt. Gut möglich, dass diese Wege nur dank ihrem Wissen und Können in diese raue Bergwelt hinein gebaut werden konnten. Auf jeden Fall haben sie einen völlig anderen Charakter als all die anderen Militärwege, die wir bis anhin befahren haben. Spontan erinnert er mich schon eher an die alten Jagdwege von König Emanuele Vittorio aus den Seealpen.

Am letzten Tag wartet die grösste Uphill-Herausforderung. Ein längst vergessener Pass führt ins 10. Okzitanische Tal unserer Tour. Nirgends ist die Zivilisation so weit weg wie hier. Der lange Aufstieg ist definitiv einer der härtesten den ich in den Alpen je gefahren bin. Ab Mittag sind in der Region Gewitter angesagt und die 0-Grad Grenze soll auf 2800 m sinken. Wir starten schon um 6 Uhr in der Früh. Gemäss meiner Berechnung schaffen wir es mit dieser Startzeit, dass wir den ersten wie auch den zweiten rund 2800 Meter hohen Pass trocken und sicher überqueren können. Der Plan geht auf. Zwei Stunden später gehen über dem Pass heftige Gewitter nieder – bei uns scheint die Sonne und wir geniessen das Wetter-Schauspiel bereits aus sicherer Distanz.

Ein letzter Uphill und dann wartet das Schlussbouquet in Form eines nahezu 20 Kilometer langen Flow-Trails auf uns. In diesem Moment wird mir so richtig klar was wir soeben erreicht haben. Der Traum von der Alta Via Piemonte – quasi meinem «Bike-GTA» – ist in Erfüllung gegangen.

Es braucht Zeit diese Eindrücke zu sortieren und zu realisieren, was wir da geschafft haben. Der ganzen Bikegruppe und Urs, unserem grossartigen Betreuer und Helfer, ein riesiges “grazie mille” für diesen einzigartigen Bikecross. Es war mir eine Ehre mit euch zusammen diese Tour in dieser spektakulären Bergwelt und in meiner zweiten Heimat zu erleben und zu erfahren. Die Eindrücke haben sich tief in mein Bikeherz eingebrannt!"
Bericht (Original) von Lukas Stöckli

 

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